Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Ein grüner Tag

Ein Kommentar

Schottland 2014 – Tag 4

Der Montag ist gekommen und hält für uns den Höhepunkt und Hauptzweck unseres fünftägigen Aufenthaltes bereit. Es ist der 17. März, St. Patrick’s Day. Um zu vermeiden, dass wir wie im vergangenen Jahr bereits auf dem Weg zu den Feierlichkeiten irgendwo versacken, hat Thommy einen klugen Plan erdacht und für 11 Uhr eine Stadionführung im Celtic Park für uns gebucht. Von da aus werden wir uns dann quer durch Gallowgate stadteinwärts durchschlagen und so direkt den irischen Puls von Glasgow fühlen.

Dass wir den Weg zum Celtic Park – immerhin fast vier Kilometer – zu Fuß gehen, mag befremdlich wirken. Wenn man jedoch weiß, dass schon nach etwa 500 Metern ein ausgiebiges Frühstück in McDonalds Bakers, Trongate auf die erschöpften Wanderer wartet, relativiert sich das Erstaunen schnell. Bestens gestärkt, wahlweise mit Sandwiches oder auch Donuts, treten wir den langen Marsch ins Paradies an.

Unterwegs sehen wir noch vereinzelte Restspuren des gestrigen Finalspiels um den Scottish League Cup, hier und da sind noch ein paar Aufkleberreste Aberdeener Herkunft den wachsamen Augen der Grünen Reinigungsbrigade entgangen. Diese sind aber auch die einzigen Anzeichen fußballerischen Lebens, denn die Umgebung des Celtic Parks verbreitet, ehrlich gesagt, nicht wirklich Atmosphäre, an spielfreien Tagen gleich gar nicht. Ein Ausflug zu Ikea könnte anreisetechnisch kaum weniger spektakulär sein.

Egal – das ist ja kein Seminar über Architektur oder Landschaftspflege, also gehen wir unseren Weg weiter und stehen bald vor dem Stadiongelände. Thommy hat so viel Spaß am Laufen gefunden, dass er mit uns gern noch eine Außenumrundung absolvieren möchte, leider lässt das die fortgeschrittene Zeit nicht zu. So ein kleiner Gang über den benachbarten Friedhof einschließlich Überklettern der Begrenzungsmauer hätte schon etwas gehabt.

Kurz nach 11 Uhr beginnt unser Rundgang vor einer Trophäensammlung aus 126 Jahren, darunter natürlich die originalgetreue Nachbildung des Europapokals der Landesmeister, den Celtic 1967 in Lissabon gegen Inter Mailand gewonnen hat. Die Vitrine mit den vielen Pokalen bietet einen imposanten Anblick, leider ist die Zeit zu knapp bemessen, um sich ausführlich mit allem zu beschäftigen und so bleibt letztlich vor allem der größte Triumph der Vereinsgeschichte im Gedächtnis haften.

Im nächsten Raum werden einige Helden der Vergangenheit gewürdigt, es gibt historische Trikots des Celtic FC und der schottischen Nationalmannschaft zu bewundern, dann gehen wir ins Heiligtum – die Mannschaftskabine. Hier sind, ähnlich wie in Gallowgate noch ein paar Hinterlassenschaften des Aberdeen FC vom gestrigen Spiel übrig, es hängen persönliche Botschaften an die Mannschaft mit guten Wünschen für das Spiel und eine Taktik-Skizze an der Wand. Der Vermesser findet mit seinem geschulten Fotografenauge einen Sektkorken, den der Reinigungstrupp unter einem Schrank übersehen hat. Dann nehmen wir auf den Bänken vor den Spielerspinden Platz und atmen ein bisschen vom Duft der großen Fußballwelt, und der ist keine Mischung aus Schweiß, Sekt und Head & Shoulders, wie ihr vielleicht befürchtet.

Nach ein paar Fotos dürfen wir dann den Weg aus der Kabine durch den Spielertunnel ins Stadioninnere beschreiten, etwas, das sonst nur den Spielern vorbehalten ist. Den Jubel des Publikums beim Auflaufen müssen wir uns selbst vorstellen, aber auch ohne ihn ist es schon ein erhebendes Gefühl, da hinaus zu gehen. Auf den Platz dürfen wir leider nicht, dort ist die Green(keepers) Brigade fleißig am Wirbeln, um Fußspuren auf dem Rasen zu beseitigen. Aber ein bisschen auf der Trainerbank herumzulümmeln ist ja auch nicht so schlecht. Auf der VIP-Tribüne halte ich dann Rod Stewarts persönlichen Platz (Lifetime seat) ein paar Minuten warm, bevor wir in den Presseraum gehen, wo wir einen fünfzehnminütigen Film zur Geschichte und den größten Erfolgen des Vereins sehen. Dann endet ein beeindruckender Rundgang und wir verabschieden uns von unserem Begleiter, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe.

Ein Abschiedsblick geht zur Statue des Vereinsgründers Brother Walfrid, dann kehren wir dem Paradies den Rücken und lassen uns von unseren Füßen zurück nach Gallowgate tragen, um dort dem heiligen Patrick die Ehre zu erweisen.

Unsere erste Station ist die Hoops Bar, die uns vom letzten Jahr mit einer rauschenden Fußballparty nach dem 4:3 über Aberdeen in Erinnerung geblieben ist. Wir sind allerdings etwas früh dran, es sind bisher kaum Gäste anwesend. Es gibt schon ein bisschen Live-Musik, aber bei Tageslicht und in einem fast leeren Raum will der Funke zunächst nicht überspringen. Macht aber nichts, Hauptsache die Zapfanlage funktioniert.

Beim nächsten Halt – etwa 200 Meter weiter im „Saracen’s Head“ ist schon deutlich mehr Betrieb. Am Tresen sind noch ein paar einzelne Stehplätze frei, die Musik aus der Konserve hat es schwer, das Stimmengewirr zu übertönen. Ich stelle hier die Ernährung von Cider auf Guinness um, wer weiß schon, ob es heute nochmal feste Nahrung geben wird. Neben mir stehen zwei ältere Herren, der Ältere ist schon 90 Jahre alt und war schon mal in Deutschland: vor knapp 70 Jahren mit der Royal Navy. Er freut sich, dass wir für St. Patrick’s Day nach Glasgow gekommen sind und gibt mir gleich noch ein Guinness aus.

Das Stimmungsbarometer im Pub steigt langsam, aber kontinuierlich. Ich muss kurz mal für eine Minute verschwinden, als ich wiederkomme, haben fast alle einen lustigen Hut aus dem Partysortiment der Guinness Brauerei auf dem Kopf. Na toll, da ist man mal zwei Minuten nicht da! Aber noch ehe ich diese himmelschreiende Ungerechtigkeit anprangern kann, verteilt eine der Bardamen die nächste Ladung. Geht doch!

Wir bleiben etwa eine Stunde im „Heid“, dann bläst Thommy zum Aufbruch, beim Rausgehen sind nicht wenige von uns der Meinung, das könne ein Fehler sein – jetzt, wo es gerade gemütlich wird. Aber unser unerbittlicher Reiseleiter folgt seiner inneren Stimme und die lenkt ihn und uns zur Tolbooth Bar. Diese ist schon sehr gut gefüllt, wir drängeln uns trotzdem mit hinein und mischen uns für ein paar Drinks unters Volk.

Dann macht Thommy eine Entdeckung, die unser Leben von Grund auf … ok, ganz so dramatisch ist es nun auch nicht. Auf einer Wandtafel ist zu lesen, dass ab 20 Uhr noch eine Band namens „The Wakes“ spielen wird, die Thommy natürlich kennt und in den höchsten Tönen preist. Ich bin in schottischen Musikerkreisen nicht ganz so bewandert. Rod the Mod, Proclaimers, Runrig und Lorraine Jordan (na, wer von euch kennt sie?) und das war es dann auch schon. Aber da wir ziemlich ähnliche musikalische Vorlieben teilen, vertraue ich seinem Urteil blind und bin gespannt auf den Auftritt.

Zwischendurch bei einem Gang zur Toilette werde ich angesprochen, und zwar abweichend vom üblichen Muster, das da meist lautete: „You’re from Germany? St. Pauli?“ Ist natürlich knapp daneben getippt, die aufklärende Antwort löste jedoch in der Regel keine nennenswerten Emotionen aus. Bei besagtem Austritt hingegen werde ich gleich direkt nach Hansa gefragt. Der junge Mann erzählt mir, das letzte Spiel gegen St. Pauli im Gästeblock des Ostseestadions erlebt zu haben. Während ich ansetze, die damaligen Vorfälle zu bedauern, meint er nur: „It was ok. We’ve won.“ – die pragmatische Sichtweise überrascht mich doch etwas. Mangels weiterer Begegnungen ergibt sich keine Gelegenheit, das Thema noch etwas zu vertiefen, aber dann ist auch die Zeit für The Wakes gekommen.

Es wird ein großartiger Abend. Die Band erscheint zwar nicht komplett, sondern zunächst nur in Person des Sängers Paul, der später noch Unterstützung mit Flöte und Banjo bekommt, die Atmosphäre in der Bar haben sie aber auch in kleiner Besetzung absolut unter Kontrolle. Es erklingt vor allem traditionelle schottische und irische Musik (ganz großartig „The Lonesome Boatman“, ein Instrumentalstück von Finbar & Eddie Furey, das es übrigens auch als Fangesang in die Celtic-Kurve geschafft hat), aber auch Lieder aus dem eigenen Schaffen. Mein Anspieltipp ist „8:30 am Glasgow Cross“, ein Liebeserklärung an Gallowgate:

Wir erleben den Gig aus nächster Nähe, am Tisch zweier sehr freundlicher, schon etwas älterer Paare, die uns eingeladen haben, uns zu ihnen zu setzen. Die Herrschaften beweisen enormes Durchhaltevermögen und erweisen sich als sangesfreudig und textsicher. Zu vorgerückter Stunde erklingt „Galway Girl“ (Steve Earle) und ohne geringste Chance zu entkommen finde ich mich plötzlich mit einer der Ladies tanzend wieder. Aber was soll‘s, schließlich bin ich Party Boy. Man kann ja bei so einer Veranstaltung auch nicht nur den ganzen Abend herumsitzen und stupide ein Glas Guinness nach dem andern vertilgen, bis jemand mit dem Fußboden wirft. Na ja, man kann schon, aber dafür ist es einfach zu gut.

Die Zeit vergeht wie im Fluge, die Band spielt über zwei Stunden und es könnte von mir aus noch ewig weiter gehen, aber natürlich gilt auch an solch einem Tag die Sperrstunde. Darüber hinaus haben wir morgen, an unserem letzten Tag, ja noch einmal ein anspruchsvolles Programm vor uns. Schon um 7:45 Uhr wird uns der Bus zur Highlands-Tour abholen, gewartet wird nicht. Sagt jedenfalls Thommy. Wird spannend.

Ein Kommentar zu “Ein grüner Tag

  1. Party Boy 🙂
    Ich hätte es gern gesehen. Kannst uns ja Ostern eine Kostprobe Deiner tänzerischen Fähigkeiten liefern. Der Dance floor wird schon gebohnert.

    Hoffentlich folgt bald Teil 5.

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